Hof- und Feldbegrenzungen: Friesenwälle für alle Fälle?

Gerd Kühnast, IGB

Zyklopenmauern nannten die Griechen die gigantischen, ohne Mörtel aufgeführten megalithischen Mauem von Mykene, Troja und der etruskischen Städte. Daß diese Wunderwerke von Menschenhand errichtet worden seien, mochte man nicht glauben. In vielen vor- und frühgeschichtlichen Hochkulturen war die Kunst des Trockenmauerns so hoch entwickelt, daß wir noch heute in Ehrfurcht vor diesen bautechnischen Leistungen erstarren. So gibt es in den indianischen Kulturen Amerikas zu Mauern exakt aneinandergefügte Felsblöcke, in deren Fugen man nicht einmal ein Blatt Papier schieben könnte. Die Römer haben schließlich unendlich viele ihrer großartigen Baukunst sowohl mit als auch ohne Mörtel hinterlassen, die nicht weniger beeindrucken.

Wir machen einen Sprung in die Neuzeit und wenden uns dem eigentlichen Thema zu, das sich mit kleineren, aber dennoch interessanten Bauwerken befassen soll: Trockenmauern als Feld- und Hofbegrenzungen. Gerade in den letzten Jahren haben sich Hauseigentümer wieder auf historische Einfriedungen ihrer Grundstücke zurückbesonnen. Dabei wird dann nicht selten zu viel des Guten getan, wie man an der Vorliebe für vorgefertigte Staketzäune, leider in oft unangemessenen girlandenförmigen Ausführungen, die aufdringlich vom Haus ablenken und nicht mit ihm im Einklang stehen, sehen kann. Ebenso wieder in Mode gekommen sind Steinwälle, gerne auch „Friesenwälle" genannt, die von einer Reihe meist kleinerer Firmen in unterschiedlichen Ausführungen angeboten werden.

Als Feldbegrenzung hat es Steinwälle, wie sie etwa in Schottland oder in den südfranzösischen karstigen Hochflächen, den Causses, in unendlichen Längen noch anzutreffen sind, im nördlichen Landesteil Schleswig-Holsteins nicht gegeben. Die Flureinteilung, die im Geestbereich um 1800 mit der Verkoppelung als Folge der Auflösung der Allmende durch Wallhecken oder Erdwälle geschah, wurde in den Marschen durch Gräben erreicht, die zugleich der Entwässerung dienten. In der Regel wurde das jeweils eingedeichte Land zur Refinanzierung der teuren Deicharbeiten an die Partizipanten (heute würde man „Investoren" sagen) vergeben oder verkauft und somit privatisiert. Überall dort, wo in der Umgebung Steine zu finden waren, gab und gibt es traditionell in Trockenmauerwerk errichtete Erd-Steinwälle als Begrenzung der Haus-/Hofgrundstücke. Das war naturgemäß in den Dörfern auf den Moränenlandschaften, also der Geest und dem östlichen Hügelland der Fall und – auffällig – auch auf den Geestinseln Amrum, Föhr und Sylt.

Von letzteren stammt auch der heute verwendete Begriff Friesenwälle. Gemeint ist damit ein Erdwall, der an der nach außen weisenden Seite eine Steínsetzung enthält, in der die größeren Feldsteine das Fundament bilden und die kleineren sich nach oben anschließen. Der Aufbau geschah und geschieht auch heute noch, indem als „Mörtel" eingelegte dünne Rasensoden verwendet werden, die mit ihrem Wurzelwerk eine dauerhafte Verbindung der Steine gewährleisten. Diese Bauweise erfordert keinen besonderen technischen Aufwand und ist zudem aus heutiger Sicht ausgesprochen naturfreundlich, weil sie auf trocken-warme Biotope angewiesenen Pflanzen und Tieren Lebensraum bietet. Die vielen Hohlräume und Ritzen sowie die Wärmespeicherung
im Gestein (Die Steine speichern die Tageswärme und schaffen damit eine auch in die Nacht hineinreichende gleichmäßige Wärme) sind z.B. für Eidechsen geeigneter Unterschlupf und Platz zum Ausbrüten der Eier. Laufkäfer, Kröten, Frösche und Spitzmäuse und viele andere Tiere, die zur Stabilisierung des biologischen Gleichgewichts als „Schädlingsbekämpfer" beitragen, nutzen Höhlungen und Zwischenräume als Unterschlupf. Auch einzeln lebende Bienen und Wespen finden zwischen den Steinen Behausungen. Andere Insekten wie Schwebfliegen und Schmetterlinge werden vom Blütenreichtum der Mauer angelockt. So tragen trockengemauerte Steinwälle ebenso wie Teiche, Hecken oder Naturwiesen buchstäblich zur Belebung eintöniger Gärten und Ortsbilder bei. Voraussetzung ist aber, daß nicht Beton verwendet wird. Damit verliert ein Steinwall mehr als 90 Prozent seines ökologischen Wertes und ist einer Beton- oder Ziegelmauer in ihrer lebensabweisenden Materialstruktur gleichzusetzen.

Über das Alter der historischen Steinwälle ist meist gar nichts oder nur wenig bekannt. Datierungen sind selten. Allenfalls Kirchenarchivalien oder Inventarlisten, in Erbfällen ausgefertigt, helfen hier und dort weiter. Baurechnungen, Inventarverzeichnisse oder sogenannte Wallregister, die bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Unterhaltungspflicht der Gemeindeglieder an den Friedhofs- und auch gelegentlich an den Pastoratswällen regelten, weisen aus, daß diese Wallanlagen zum Teil mindestens in das 17. Jahrhundert zurückzuverfolgen sind. So ist z.B. ein Wallregister der Kirchengemeinde Enge aus dem Jahre 1693 erhalten. Die Pastoratseinfriedigurıgen datieren vielfach aus dem 18. Jahrhundert. Auch hier sind Zeitbestimmungen über Protokolle möglich, die die nicht selten strittige Unterhaltspflicht regelten.

In Stedesand stammt das letzte Wallregister der Kirchengemeinde aus dem Jahre 1815. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, spätestens mit Einführung der Kirchensteuer, entfiel nach und nach die Unterhaltspflicht und die Friedhofsmauem verfielen. In den letzten Jahren hat es im Rahmen der Dorferneuerung und der kleinen Flurbereinigungen eine Rückbesinnung auch auf die historischen Steinwälle gegeben mit dem Erfolg, daß sie wieder instandgesetzt wurden. Dazu war es trotz des hohen Alters nur selten nötig, sie von Grund auf neu aufzubauen. Reparaturen reichten in der Regel aus.

Trockengemauerte Steinwälle tragen buchstäblich zur Belebung eintöniger Gärten oder Ortsbilder bei – Voraussetzung ist aber, dass nicht Beton verwendet wird.


Die Datierung der in Privateigentum befindlichen Steinwälle ist wesentlich schwieriger. Aber es gibt Ausnahmen: Im Dorf Jardelund, auf dem Mittelrücken im Kreis Schleswig-Flensburg gelegen, das gewissermaßen berühmt für seine Steinwälle ist, sagen lnventare aus dem Jahre 1603 aus, daß ihre Errichtung nicht billig gewesen ist. In jener Zeit dienten die Wälle, anders als heute, der Abgrenzung des eigenen am Hause gelegenen Landes, der Toften, vom Gemeindeackerland. Eine solche Abgrenzung von imposanter Ausdehnung und in einem Teil von beeindruckender Mächtigkeit ist am Westrand des Dorfes Langenhom in Addebüll erhalten. Die parallel nebeneinander liegenden Hofgrundstücke mehrerer Bauern enden an einem Weg, der die besagte Grenze bildete. Der steinerne Grenzwall schließt jeweils an das Nachbarstück an und ist dadurch ca. 150 m lang. Es ist aber auf Grund der unterschiedlichen Bauart auf unterschiedliche Entstehungszeiten zu schließen. Im Vergleich mit den Jardelunder Wällen darf auch der älteste Teil der Addebüller Anlage in das frühe 17. Jahrhundert datiert werden (Albert Panten, mündlich). Einige offensichtlich alte Steinwälle, die wahrscheinlich aus dem 18. Jahrhundert stammen, stehen auf der Geest in Wallsbüll, dem südwestlichen Dorfrand der Gemeinde Struckum. Kliffartig fällt die Geest hier ab und geht in die Marsch über. An diesem Geesthang steht in einer Weidekoppel ein Steinwall, scheinbar ohne Beziehung zu einem der oberhalb gelegenen Häuser. Eine der oberhalb gelegenen Hofstellen ist zur Straße hin durch einen Steinwall begrenzt, der wie das Haus aus der zweiten Hälfte da 18. Jahrhunderts stammen dürfte.

Nachdem um 1900 Zement als Baustoff unentbehrlich geworden war, wurden auch Feldsteine wie Ziegel in Zementmörtel zu Grenzwällen aufgemauert. Dies erwies sich meisten als wenig dauerhaft, weil Sackungen zu Rissen führen und weil eindringendes Wasser den harten Mörtel sprengte. Trotzdem gibt es „Besserwissende", die immer noch „Friesenwälle" in Beton aufbauen. Auf Sylt, dessen Friesenwälle als Vorbild dienen, findet man sie heute fast ausschließlich als Begrenzung und Schutz der Wohngrundstücke zur Straße. In früheren Jahrhunderten hatten sie die gleiche Funktion wie die auf der Festlandsgeest: Sie sollten die Grundstücke gegen Wind und Flugsand schützen, aber auch die Hausgrundstücke gegen die Allmende abgrenzen. Die Sylter Steinwälle sind fast ausnahmslos unter Denkmalschutz gestellt.

Fragt man heute nach, warum die Menschen wieder „Friesenwälle" auf die Grenze zur Straße setzen, erhält man meist solche oder ähnliche Antwonen: „Das sieht gut aus..., das ist pflegeleicht..., das hat es schon immer gegeben..., da kann in den Fugen was wachsen..., die Ameisen haben dort eine Wohnung..." Trotz solcher plausiblen Antworten sollte man darüber nachdenken, ob ein solcher Wall überall am Platze ist. Orientiert man sich an der Geschichte, so müßten all die Gebiete ausscheiden, in denen man Steine nicht findet: die Marschen. Vielerorts ist heute noch ablesbar; daß mit dem Bau der Eisenbahn bis dahin nicht verwendete Baustoffe bei uns Einzug hielten, deren Transport vorher kaum zu bewältigen gewesen wäre. So kam beispielsweise Schiefer aus Süddeutschland und England und veränderte die Dachlandschaft. Transport- und Frachtprobleme ließen bis in die Vorkriegszeit niemanden auf die Idee kommen, in der Marsch oder auf den Marschinseln Steinwälle zu errichten. Allenfalls günstige Gelegenheiten, wie der Bau des Transportdammes aus Granitssteinen zur Hallig Oland in den zwanziger Jahren wurden genutzt. So erhielt der Hallig-Friedhof damals eine in Zementmörtel aufgemauerte Feldsteinmauer. Da aber heute der Transport der schwergewichtigen Feldsteine kein Problem ist, geht es wie mit den Schieferdächern. Friesenwälle entstehen unabhängig vom Materialangebot der Umgebung. Das geschieht sicher ganz spontan.

Dennoch sollte man sich durchaus Gedanken darüber machen, ob landschaftsangemessenes Bauen nicht auch bei der Auswahl der Hauseinfriedung berücksichtigt werden sollte. Tut man das, so ist der Friesenwall in der Marsch nicht die richtige Wahl. Der Wassergraben, das Stakett oder eine Hecke oder Kombinationen aus diesen waren die traditionellen Grundstücksbegrenzungen der Marsch. Wer aber, wo immer, einen Steinwall errichten möchte, sollte wegen des ökologischen Wertes auf gar keinen Fall Beton verwenden und diesen gar noch jährlichen Reinigungsaktionen aussetzen. Man wird, wenn man es richtig macht, viel Freude an seinem künstlich geschaffenen Lebensraum haben. Falls eine Trockenmauer aus besagten Gründen nicht in die Umgebung paßt, gibt es auch noch die Möglichkeit, im Garten hinter dem Haus eine Trockenmauer zu errichten, nur so zum Spaß an einem interessanten Kleinlebensraum.

Quellen:
1. Der Naturtip Nr. 6, Anlage von Natursteinmauern.
Naturschutzzentrum NRW bei der Landesanstalt für Landschaftsentwicklung und Forstplanung (LÖLF), Leibnizstr. 10, Recklinghausen

2. Alle Hinweise auf Archivquellen und Datierungen, Albert Panten, mündlich


Aus dem IGB-Archiv, Der Maueranker 02/1993

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