Kopfweiden – knorrige Baumgestalten

Nina Schulz und Uwe Nagel, IGB

Produkt der Kulturlandschaft

„Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau, es scheinen die alten Weiden so grau“

so heißt es in Goethes Erlkönig, und wer einmal bei nebligem Wetter die bizarren Gestalten alter Kopfweiden erlebt hat, der kann sich vorstellen, daß eine aufgeregte Phantasie darin die Arme einer in den Himmel gerichteten Geisterscheinung vermutet. Ihr Standort an feuchten Gräben und Tümpelrändern, im Moor und an Bächen, aber auch ihre Bewohner wie Steinkauz, Fledermaus, Steinmarder oder Iltis mögen mit dazu beitragen, daß diese bizarren Baumgestalten uns das Schaudern lehren können.

Doch wie steht es um unsere Kopfweiden? Einst wichtiger Rohstofflieferant für Korbflechter und Böttcher, zur Verwendung im Hausbau und im Küstenschutz, zur Möbelherstellung und zum Flechten von Reusen und vielem mehr.

Noch nach dem 2. Weltkrieg kam es besonders in den fünfziger Jahren zu einem industriellen Aufschwung heimischer Korbwaren, doch leider wird das traditionelle Handwerk des Korbmachers heute nur noch von wenigen beherrscht und ausgeübt. Billigangebote für Korbwaren aus östlichen Exportländern haben den Wert und den Preis für heimische Korbwaren in ein Mißverhältnis gebracht. Die einheimischen Korbflechter folgten besser bezahlten Stellen in der Industrie, und so verschwand die Bedeutung der Korbflechterei in Deutschland und mit ihr die Kopfweiden.

Erneut droht unserer Landschaft damit ein Verlust, denn die Kopfbäume prägten das Landschaftsbild in vielen Gegenden Schleswig-Holsteins. Die historische "Schneitelwirtschaft“, wie diese handwerkliche Kulturform genannt wird, ist längst bedeutungslos geworden – eine alte Landes- und Landschaftskultur ist damit verloren gegangen. Schon längst tragen wir weder unsere Kartoffeln in Weidenkörben vom Acker, noch flechten wir Wände aus Weidenruten, um sie mit Lehm zu verputzen. Die wenigen Fälle, in denen Fachwerk denkmalpflegerisch im ursprünglichen Sinne repariert wird, fällt mengenmäßig nicht ins Gewicht.

Auch gibt es keine Böttcher mehr und Bandreißer, die mit Weidenruten ihre Holzfässer verschnüren, um damit z.B. frische Butter zu transportieren. Kein Fischer baut mehr seine Reusen aus Weiden und das Flechtwerk unserer Möbel wird längst aus exotischen Materialien hergestellt.

Nur in der Kranzbinderei verläßt man sich noch auf die Elastizität der Weidenruten, auch wenn diese nicht mehr aus heimischer Produktion stammen. Wir haben uns an solche Verluste gewöhnt und nehmen es kaum wahr, wenn Jahr für Jahr mehr Kopfweiden aus unserer Landschaft verschwinden. Ohne Rutenernte stirbt nämlich die Kopfweide. Die Äste werden zu stark, der Sturm sprengt den Stamm. Der Kopfbaum bricht in sich zusammen, wird abgeräumt oder vermodert an Ort und Stelle.

Der Rückgang der Kopfweiden führt zu einem Lebensraumverlust und zu einer Abnahme der Artenvielfalt. Wir sollten uns daher um ihren Schutz und vor allem ihre Pflege und um Neuansiedlung bemühen.


Noch um 1900 wurden in der Haseldorfer Marsch 400 Hektar Weidenkulturen bewirtschaftet. Es handelt sich hierbei um die Korbweide (Salix viminalis), die ihrer Verwendung nach auch als Hanfweide oder Bandweide bezeichnet wird. Auch hinter einigen unserer Deiche und an vielen Mitteldeichen, vor allem in Eiderstedt, stehen noch heute lange Reihen von Kopfweiden und erinnern an die einstige Bedeutung beim Deichbau und der Landgewinnung.

Schließlich sei noch an die fast veschwundene Nutzung der Weiden im Deichvorland der Elbmarschen erinnert. Das Dorf Hetlingen war bis in unsere Zeit bekannt für die Bandreißerei, ein Gewerbe, das in guten Zeiten, etwa im 19. Jahrhundert, 250 Menschen in Arbeit und Brot hielt.

Die im Vorland gesteckten Weiden wurden in dreijährigem Turnus, anders als die Kopfweiden, 30 cm über dem Boden geschnitten, für einige Monate in Wasser gestellt, damit die Stöcke austrieben und das Abschälen der Rinde, das sogenannte Basten, leichter ging. Die geschälten Weiden wurden dann gespalten (gerissen), zu Faßbändern verarbeitet und vermarktet. Nachdem die Verpackung von Butter auf einfachere Weise möglich wurde, fertigten die Bandreißer noch einige Zeit Kranzunterlagen aus ungeschälten Weiden, bis auch dies nicht mehr lohnte. Der Rest ist schließlich ins Freilichtmuseum gewandert. In der Woche nach Pfingsten kommen einige Bandreißer aus der Elbmarsch, um die auf dem Museumsgelände geschnittenen Weiden auf die traditionelle Weise zu verarbeiten.

Der Verlust der Kopfbäume ist nur eine logische Folge ihrer Entbehrlichkeit. Gravierend ist dabei der ökologische Verlust, denn Kopfbäume bilden den seltenen Lebensraum „Alt- und Totholz". In ihrem Kern entsteht Moderholz, das auch als Weidenerde bezeichnet wird. Über 100 Käferarten, die hier ihren Lebensraum haben, sind auf die Weide angewiesen. Zu den Totholzbewohnern zählen u.a. die Käferlarven des Weidenbocks, des Moschusbocks, des Weberbocks, die Larven des Weidenbohrers und anderer Falterarten. Kopfweiden sind Brutplatz für Höhlen- und Halbhöhlenbrüter wie Steinkauz und Wiedehopf, für Zaunkönig, Gartenrotschwanz und Grauschnäpper. Die Insektenfresser unter den Vögeln finden hier ein reiches Nahrungsangebot. Hohle Weidenstämme bieten Verstecke für Iltis, Wiesel, Mauswiesel und verschiedene Fledermausarten.

Der Rückgang der Kopfweiden führt zu einem Lebensraumverlust und zu einer Abnahme der Artenvielfalt. Wir sollten uns daher um ihren Schutz und vor allem ihre Pflege und um Neuansiedlung bemühen. Nicht nur in der freien Landschaft, auch im Hausgarten ist an geeigneter Stelle das Pflanzen einer Kopfweide sinnvoll und möglich. Dazu eignen sich vor allem die Arten Silberweide (Salis alba) und die Korbweide (Salix viminadis).

Dazu werden ca 5 cm starke und 3 m lange Äste schräg angeschnitten und am unteren Ende von der Rinde befreit. Man pflanzt das Steckholz ca 50-70 cm tief in den Boden. Nach etwa 2 Jahren wird der Baum in der Höhe von 2 Metern zum ersten Mal geköpft. Dieser Vorgang muß nun in regelmäßigen Abständen wiederholt werden.

Durch den ständigen Eingriff in die Krone, das sogenannte Schneiteln, dringen Wasser, Pilzsporen und Bakterien in das Holzinnere und setzen allmählich den Fäulnisprozeß in Gang. Es bilden sich Höhlen und unter den frisch ausgetriebenen Reisern entstehen mit der Zeit die knorrig verwachsenen Köpfe.

Kopfweiden kann man zu Recht als Symbole einer umweltfreundlichen Kulturlandschaft bezeichnen, die nicht zuletzt auch wegen ihrer kulturhistorischen Bedeutung unseren Schutz und unsere Pflege dringend verdient haben.


Quellen
Müller und Fischer
Das Wasserwesen an der schleswig-holsteinischen Westküste
Berlin 1917, 1936, 1956, 1968

Groth
Das Bandreißerdorf Hetlingen
Hetlingen 1989

Grosser, Teen
Einheimische Nutzhölzer
(Loseblattsammlung) Blatt 15. Weide Herausg. CMA u. Arbeitsgem. Holz e.V., Bonn 1985

Aus dem IGB-Archiv, Der Maueranker 01/1997

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